Nachhaltige Mode und Vielfalt

Nachhaltige Mode und Vielfalt

Unsere Gesellschaft ist divers – so wie die Kleidungsstile der Menschen

Doch bildet die (nachhaltige) Modewelt und ihr Angebot diese Vielfalt auch ab?

Begegnungsraum Stuttgart, 08. Mätz 2022 

Die Idee, eine Veranstaltung zum Thema Nachhaltige Mode und Vielfalt zu organisieren, entstand aus einem Plausch heraus mit Fatima – Mitgründerin des Vereins Coexist e.V..  

Wir sprachen darüber, 

  • welche Bedeutung Mode und Trends für uns haben.
  • was unseren Kleidungsstil ausmacht.
  • welche Rolle Nachhaltigkeit in unserem Alltag und bei der Kleiderauswahl spielt. 

Fatima stellte ihren Verein Coexist e.V. vor, der sich für unterrepräsentierte Gruppen stark macht und sich für den Abbau von Vorurteilen, gegen Diskriminierung und anti-muslimischen Rassismus engagiert. Coexist schafft Räume, in denen jeder seine Ideen und Perspektiven einbringen und sich aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligen kann. 

Mit dem Future Fashion Talk am internationalen Frauentag (8.3.2022) wollten wir einen solchen Raum bieten und auf Augenhöhe über unsere Erfahrungen, Wünsche bzw. Forderungen an die Modewelt und Ideen für einen verantwortungsvollen und ressourcenschonenden Umgang mit Kleidung ins Gespräch kommen.

Wer hat Zugang zu Nachhaltiger Mode? Wen schließt sie (noch) aus?

Für mich – als junge Frau, Größe 38, mit Budget für Slow Fashion – ist es relativ leicht, Second Hand- oder Nachhaltige Mode zu finden. Das Angebot in Stuttgart und in Online-Shops nimmt zu und entspricht meinem Kleidungsstil, der nicht wirklich „aus der Reihe“ fällt. 

Zudem konnte ich die Faire Modewelt – aufgrund meiner Arbeit für die Initiative Future Fashion – schon gut kennenlernen und weiß mittlerweile, welche Kriterien und Textilsiegel darauf hindeuten, dass Kleidung unter fairen Arbeitsbedingungen und umweltfreundlich hergestellt wurden. 

Nachhaltige Mode und Vielfalt

Kurz gesagt:

Ich befinde mich in einer privilegierten Situation und Position innerhalb unserer Gesellschaft – was sich auch beim Kleiderkauf zeigt. Für mich und viele andere, die der - von der Modeindustrie selbst ernannten - „Norm“ entsprechen, gibt es eine große Auswahl an Nachhaltiger Mode. 

Bis zu meinem Gespräch mit Fatima hatte ich wenig darüber nachgedacht, dass nachhaltige und faire produzierte Mode zwar eine Veränderung der Textilindustrie auf den Weg gebracht und eine zukunftsfähige Alternative zur ausbeuterischen, klimaschädlichen (Fast) Fashion Branche geschaffen hat, aber (noch nicht) von allen Menschen unserer vielfältigen Gesellschaft getragen werden kann. Entweder, weil 

  • nicht alle Menschen die Zeit und die Möglichkeit haben, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen 
  • die finanziellen Ressourcen zu knapp sind 
  • die Mode nicht dem eigenen Kleidungsstil oder nicht den eigenen Ansprüchen bzw. Bedürfnissen (Größe, Funktionalität usw.) entspricht. 

Nachhaltige Mode und Vielfalt Fatima kleidet sich z.B. eher bedeckt, bevorzugt weite Schnitte, schlichte Farben und trägt Hijab (ein Kopftuch). Sie möchte – wie viele junge Leute – bei der Wahl ihrer Kleidung auf Nachhaltigkeit achten und wertschätzend damit umgehen. Kaputte Kleidungsstücke werden nicht weggeworfen, sondern repariert, aussortierte Teile an Familienmitglieder*innen oder Freund*innen weitergegeben. Fatima mag Second Hand Mode und ist auf der Suche nach Nachhaltigen Modelabels. 

Doch Modest Fashion – so beschreibt Fatima ihren Kleidungsstil, der von vielen MuslimInnen getragen wird – zu finden, ist schwer. Und faire Modest Fashion Labels erst recht. 

Sobald die Bedürfnisse, Ansprüche oder der eigene Stil von denen der Mehrheitsgesellschaft abweichen, fehlt das Angebot. 

Der Future Fashion Talk bot die Möglichkeit, von anderen Leuten zu erfahren, ob sie sich von der (nachhaltigen) Modewelt repräsentiert fühlen und welche Wünsche und Forderungen sie an die Mode richten. 

Mit den mode- und nachhaltigkeitsinteressierten jungen Frauen, die gekommen waren, sprachen wir über Missstände in der Fast Fashion Industrie, wie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, der hohe Wasserverbrauch und Einsatz von Chemikalien. 

Wir stellten Kriterien vor, die bei einer nachhaltigen Kaufentscheidung eine Rolle spielen können (Langlebigkeit, hohe Qualität, gebraucht vs. neu, minimalistische & saisonübergreifende Schnitte, Transparenz bzgl. Materialien, Arbeitsbedingungen, Transportschritte und -wege), Textilsiegel, „nachhaltige“ Materialien, Recyclingfähigkeit usw.). 

Besonders wertvoll und spannend war der Erfahrungsaustauch zwischen den Besucher*innen, der unseren Eindruck bestätigte: Die meisten wünschen sich mehr Transparenz in der Textilindustrie, ein vielfältigeres Fair Fashion Angebot, in dem sich alle wiederfinden und alle Zugang haben. 

Nachhaltige Labels, die Mut zur Vielfalt zeigen, machen Hoffnung!  

Durch Videos und Interviews haben wir Perspektiven von Modemacher*innen und Modeaktivist*innen kennengelernt, über die wir im Anschluss in Kleingruppen diskutierten:  
Die SWR Doku „Modest Fashion“ berichtet über die Designerin Meriem Lebdiri aus der Pfalz, die Mode für Frauen kreiert, die sich in mehr Stoff wohler fühlen. Genauso wie Hotpants und weit ausgeschnittene T-Shirts Teil der Realität sind, sind es auch bedecktere Mode und Hijabs. Sie gehören zur Gesellschaft und sollten deshalb auch in den Läden und Laufstegen der Fashion Shows in Deutschland und anderen Ländern sichtbar sein. Meriems Message: Jede Frau sollte selbst entscheiden können, was sie trägt, wie und wie viel sie von sich zeigt! 

Wir lasen einen Text, in dem die Faire Mode dazu aufgefordert wird, nicht nur nachhaltig, sondern auch inklusiv zu handeln. Die meisten Frauen in Deutschland tragen Größe 42/44, was sich in den Schaufenstern und hinter den Ladentüren der Modestores jedoch nicht widerspiegelt. (Faire) Mode Brands müssen Kleidung für ALLE Größen und Körperformen anbieten. 

Magazin Fashion Changers

„Denn wenn die faire Mode nur eine bestimmte Auswahl an Menschen adressiert, kann sie niemals die Mode für alle und damit zur Norm werden.“ (Fashion Changers

Neben einem breiten Größenspektrum hat Inklusion aber noch viele andere Facetten: Menschen mit Behinderungen, BiPoC, Menschen verschiedenster Altersstufen, unterschiedliche Gesellschaftsschichten und diverse Geschlechtsidentitäten müssen in den Design- und Herstellungsprozess miteinbezogen, mitgedacht und (in der Außendarstellung und Bildsprache sowie auf den Laufstegen) repräsentiert werden. 

Im Interview mit dem queer-owned Modelabel fremdformat – das nachhaltigen unisex Schmuck herstellt, erfuhren wir, wie sich die GründerInnen für mehr Repräsentation von queeren Themen in der Fair Fashion Branche einsetzen. Mit ihren Bildern und ihrem Schmuck möchten sie klassische Gender-Stereotypen aufbrechen. 

Was es mit sogenannter „Barrierefreier Mode“ auf sich hat wurde uns im Interview mit dem öko-fairen Modelabel MOB Industries klar, welches die Ansprüche von RollstuhlfahrerInnen in den Mittelpunkt stellt. Menschen mit Behinderung sind “von Anfang an maßgeblich an der Entwicklung der Kollektionen beteiligt. Dabei legen sie nicht nur einen besonderen Fokus auf Funktionalität, sondern vor allem auch auf zeitgeistige Styles und Designs.” (Fashion Changers)

Die Beispiele haben uns gezeigt, dass Mode inklusiv sein oder werden kann, wenn noch mehr Menschen ihre Erfahrungen teilen und die - für sie passende (im doppelten Sinne) Kleidung – einfordern. Vor allem ModemacherInnen und -unternehmen müssen den Mut und den Anspruch haben, kontroverse politische Themen nicht auszuklammern und ein viel breiteres Spektrum an Menschen zu erreichen – Representation Matters! 

Beim Future Fashion Talk haben wir „aus dem Nähkästchen geplaudert“, neue Sichtweisen eingenommen, die Begriffe Nachhaltigkeit, Inklusion und Vielfalt mit Inhalt gefüllt und Tipps für einen wertschätzenden Umgang mit Kleidung ausgetauscht. 

#Upcycling

Am Ende des Abends lernten wir die Siebdruck-Technik kennen und druckten Statements, Bilder und Symbole – die uns am Herzen liegen und uns empowern – auf mitgebrachte Kleidungsstücke und Jutetaschen.  


Du möchtest Dich über das Thema Vielfalt in der Nachhaltigen Modewelt informieren oder bist auf der Suche nach inklusiven Modelabels? 
Im Fashion Changer Online Magazin findest Du unter dem Stichwort „Diversität“, „Inklusion“ und „antirassistisch“ spannende Interviews und Labels. 


Text: Amelie
Fotos: Mahnaz Shahriyari

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