4. Mainauer Nachhaltigkeitsdialog

Am Montag, den 11. Juni 2018, hatte unsere Jugendbeirätin Patricia Mohr die Ehre, den JBR beim 4. Mainauer Nachhaltigkeitsdialog auf der schönen Insel Mainau zu vertreten. Eingeladen hatte hierzu das Umweltministerium und die Lennart-Bernadotte Stiftung. Nach einem morgendlichen Sprung in den See düste sie mit ihrem Rad einmal quer über die Insel und war pünktlich zu Beginn im Veranstaltungsraum.

Das Publikum (ca. 100 Menschen) war bunt durchmischt: viele Vertreter*innen von Kommunalverwaltungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Akademiker*innen und auch ein paar junge Gesichter (wenn auch eher spärlich). Eröffnet wurde die Veranstaltung von Björn Graf Bernadotte, dem Gastgeber. Die erste Keynote kam von unserem Umweltminister. Herr Untersteller gab schmunzelnd zu, dass dieser Termin zu seinen absoluten „Lieblingsterminen“ im Jahr gehört. Er nannte drei zentrale Punkte, wie Beteiligung in seinen Augen gelingen kann: 1. Frühzeitig Gestaltungsräume schaffen 2. Partizipation für alle ermöglichen und 3. Die Pflicht von Entscheidungsträgern Partizipation Ernst zu nehmen (hier machte er jedoch deutlich, dass es um ein „Gehört“, nicht immer um ein „Erhört“ gehe). Als Beispiele für gelingende Bürgerbeteiligung auf Landesebene nannte er das Umweltverwaltungsgesetz sowie das IEKK (Integriertes Energie und Klimaschutzkonzept), in dessen Ausarbeitungsprozess eine Internetplattform geschaffen wurde und Runde Tische mit Zufallsbürger*innen und Vertreter*innen von Verbänden organisiert wurden. Das Format „Forum Energiedialog“ klärt über das Großprojekt SuedLink auf (ca. 900 km neue Stromleitungen von Nord nach Süd) und schafft Möglichkeiten, eigene Vorschläge einzubringen. Zum Abschluss zitierte Untersteller unseren Außenminister, welcher bei seinem Antrittsbesuch in Baden-Württemberg feststellte, dass Bürgerbeteiligung eine lange Tradition in diesem Bundesland hat.

Der darauf folgende Beitrag kam von Prof. Dr. Heike Walk von der Hochschule Eberswalde. Die Professorin stellte Zahlen aus verschiedenen Studien, vor allem dem Freiwilligensurvey 2014, vor. Erfreulich stimmte, dass sich im Jahr 2014 ca. 44 % aller Bürger*innen in Deutschland engagierten, während es 1990 lediglich 33% waren. Die Brücke zur Nachhaltigkeit schlug die Professorin, indem sie betonte, dass heute oft als „nachhaltig“ bezeichnete Städte wie Heidelberg und Freiberg auf ein sehr hohes und langfristiges bürgerschaftliches Engagement blicken können.

Sehr interessant war die Keynote von Dr. Kamlage des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, der unter anderem Geschäftsführer der Beteiligungsplattform participedia ist. Er warnte zunächst vor einem „Rezeptwissen“, was Bürgerpartizipation angeht und verwies im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation auf suffizienzorientierte Initiativen wie Urban Gardening, Repair Café usw. Diese seien zwar Nischenphänomene, allerdings von hoher Relevanz, denn solche „change agents“ können die Praktikabilität vormachen und so zum Wandel „anstiften“. Solche Aussagen motivieren dazu, weiter zu machen! Den Sozialen Wandel machte Kamlage an drei Punkten fest:
1.die Bildungsexpansion (vom Untertan zum Aktivbürger)
2.die zunehmende Pluralisierung (verstärkte Milieubildung)
3.der Beteiligungswandel u.a. durch die Digitalisierung, aber auch was die Kurzfristigkeit von Engagement angeht

Die Digitalisierung betonte er hier als Chance, um Vernetzung voranzutreiben und z.B. Petitionen einfacher auf den Weg zu bringen. Anschließend nannte er „verschiedene Dialogorientierte Beteiligungsverfahren“, eher unbekannt hierbei das Konzept der 21st Century Town Hall Meetings, bei dem das „Wissen der Vielen“ genutzt wird. Kamlage warnte vor einer Einteilung in gut und böse und sah das Ziel solcher Bügerbeteiligungsverfahren in einem „Konsens“ oder aber „gepflegten Dissens“.

Im darauffolgenden Podiumsgespräch äußerte Minister Untersteller seinen Unmut ggü. den Massenmedien und der oft einseitigen Berichterstattung. Es würden meist die gehört werden „die am lautesten schreien“. Kamlage und Walk antworteten, dass gerade an dieser Stelle Dialogverfahren von besonderer Wichtigkeit seien, um genau solche Argumente zu prüfen und auch Minderheiten Gehör zu verschaffen. Ein Punkt, der zudem relevant erscheint, ist die Auswahl der Teilnehmer*innen an solchen Dialogverfahren. Die Methode der „geschichteten Zufallswahl“ sei in diesem Zusammenhang zu erwähnen, um das Risiko zu minimieren, dass immer wieder „die Gleichen dasitzen“. Eine wichtige Herausforderung, welcher auch wir uns als Jugendbeirat stellen müssen, ist, eine große Bandbreite an Milieus anzusprechen u.a. durch passende Sprache, Aktivitäten, Themen usw.
Erfreulicherweise wurde genau dieser Punkt zum Abschluss des Podiums diskutiert: die Jugend. Walk verwies auf die Studien, die zwar ein hohes Engagement bei den Jugendlichen bestätigen, allerdings eher im sportlichen und nicht im politischen Bereich. Sie plädierte dafür „Engagement zu lernen“, z.B. durch service learning Projekte in der Schule oder vorgelebtes Engagement in Familien. Ein Zuschauer klagte über die Passivität von Jugendlichen. Untersteller ließ das nicht auf sich sitzen und erzählte euphorisch von den Nachhaltigkeitstagen und dem Übermorgenmarkt, auf dem auch wir als Jugendinitiative vertreten waren.

Nach einer kurzen Pause wurden drei Beispiele für Bürgerengagement vor Ort beschrieben. Frau Freudenberger von der Allianz für Beteiligung stellte die Programme „Gut beraten“ und „Nachbarschaftsgespräche“ vor, bei welchen zivilgesellschaftliche Gruppen und/oder Kommunalverwaltungen einen Beratungsgutschein bis zu 4000€ erhalten. Michael Lederer gab Einblick in das sehr interessante Konzept der „Bürgerräte“ in Voralberg (die er als Gegenmodell zur „digitalen Bubble“ beschrieb). Hier wird seit Jahren die geschichtete Zufallsauswahl auf Landesebene erfolgreich angewandt. Oliver Toellner erzählte zum Abschluss wie verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen in die Gestaltung der Bundesgartenschau in Heilbronn einbezogen werden.

Erhellend auch der Hinweis, dass Widerstand und Protest in solchen Prozessen nicht immer nur kontraproduktiv sind, sondern wichtige Triebkräfte und Frühwarnzeichen.

Leider musste unsere Patricia aus terminlichen Gründen bereits nach der Pause auf den Zug sprinten. Mittags fand noch ein kurzer Projekt-Parcour statt. Hier hätte sie als Station wahrscheinlich den Achterrat aus Waldshut-Tiengen gewählt, ein Jugendbeiteiligungsformat, bei welchem alle Acht-Klässler der Kommune Politik machen.

Was hat Patricia von der Insel mitgenommen?
Das für sie sehr einleuchtende Instrument der „Zufallsbürgerauswahl“, die ständige Gefahr in einer „bubble“ zu versinken, aber auch die Motivation, dass genau so eine „bubble aus change agents“ Vorreiter sein kann. Übrigens hat sie in der Zeitung noch von einem Format gelesen, dass bald in einem Stadtteil von Ludwigsburg angewendet werden soll: Zufallsbürger*innen werden von Politikern bekocht und beim Schmausen wird über ein gesellschaftlich/politisch aktuelles/relevantes Thema gesprochen. Das hat sie eigentlich am meisten überzeugt - die Kommunikation zwischen Politik und Bürgerschaft (und am besten sämtlichen weiteren Gesellschaftsakteuren)!


Foto: JIN

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