E-Scooter: Michi cruist aus Fun, dann macht er ernst

Michi ist 24 und studiert in Stuttgart – nahe seines Heimatorts. Die Frage, ob er nach Abi und FÖJ (Freiwilliges ökologischen Jahr) ausziehe, stellte sich ihm nicht. Ihm war klar, dass er bei Mama und Papa wohnen bleibt. 

Seine Argumente:

  • Eine Wohnung in Stuttgart ist teuer.
  • Der Kühlschrank ist voll und die Waschmaschine steht im Keller.
  • Außerdem verdiene er genug Geld neben dem Studium, um sein geliebtes Auto behalten zu können.

Seither fährt er jeden Tag mit dem Auto in die Stadt.

Als er das in der Mensa erzählt, schreit Maria auf: „Du wohnst noch zu Hause? Du fährst jeden Tag mit dem Auto?“
Michi ist beschämt, denn er fühlt sich nicht nur entlarvt – ganz heimlich hat er sich auch mega in Maria verguckt. 

In Deutschland gibt es derzeit über 46 Millionen Pkw. Sie verstopfen die Innenstädte, blockieren Parkflächen und verursachen Feinstaub. Konzepte wie Fahrverbote oder das bloße Umsteigen auf E-Autos sind zu kurz gedacht. Es können nicht einfach Verbrennungsmotoren gegen Fahrzeuge mit Lithium-Ionen-Akkus getauscht werden.

  • Was ist mit dem Raubbau bei der Lithium-Gewinnung?
  • Was mit den Stromnetzen? 
  • Wie sieht die Ökobilanz von Elektroautos aus?
  • Wie die eines Brennstoffzellenfahrzeugs?
  • Vor allem aber: Wenn mehr E-Autos verkauft werden, sind mehr Autos auf der Straße.
  • Zudem werden Fahrten mit dem fossilen Verbrenner so nicht vermieden. 

Ganz ähnlich verhält es sich bei den im Sommer 2019 zugelassenen E-Tretrollern. Diese veränderten das Stadtbild der Metropolen von einem auf den anderen Tag. Ihre enorme Präsenz liegt an den Verleihfirmen. Diese standen schon in den Startlöchern, um am Tag X – dem Tag der politischen Freigabe – ihre E-Tretroller in den Städten aufzustellen. Ihr Klimaschutz-Konzept-Argument: Auf dem E-Scooter könnten die letzten Meter zur Arbeit oder Uni vom Bahnhof aus zurückgelegt werden – bequem, individuell und ohne zu schwitzen. Im Zusammenspiel mit der Bahn würden sie den Umstieg vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel einleiten. 

Als ein Baustein der Verkehrswende müssen sich die E-Scooter aber erst noch beweisen. Bislang werden nicht die Autofahrten ersetzt, sondern der Gang zu Fuß, die Fahrt mit dem Fahrrad oder Bus, Straßenbahn, U-Bahn und S-Bahn. Einer Umfrage in Frankreich* ergab, E-Scooter ersetzen zu:

  • 9 % eine Auto- oder Taxifahrt
  • 29 % öffentliche Verkehrsmittel
  • 47 % Fußwege 

Michi staunt

Michi ist nach dem peinlichen Zusammentreffen mit Maria mit zwei Freunden für ein paar Tage nach Berlin gefahren. Mit dem Auto versteht sich. Doch das hat er schnell geparkt, denn es reizte ihn das überall gegenwärtige, technische Spielzeug: der E-Scooter. Drei Tage lang lässt er keine Chance aus, zwischen Alex, Tiergarten und Kreuzberg hin und her zu cruisen. Er hat Spaß ohne Ende. Und abenteuerlich ist es auch: Er teilt sich Fahrradweg und Trottoir mit Touristenströmen, die zu Fuß, aber vor allem auch mit Leih-Rädern und Leih-E-Scootern unterwegs sind. Zusätzlich muss er unachtsam geparkten Leih-Räder und -Roller ausweichen. Die Dinger stehen einfach überall rum: auf der Straße, auf dem Radweg, mitten auf dem Bürgersteig oder mitten im Gebüsch. Und spätestens wenn es dämmert, dominiert der Fun-Faktor: gerollt wird zu zweit, mit Hund und vor allem mit dem Handy in der Hand.  

Auf der Rückfahrt nach Stuttgart ist das exotische E-Scooter-Berlin heiteres Thema im Auto. Und so mega gut der Tripp auch war, die drei sind froh im Ländle zu wohnen – wo es nicht nur in Sachen E-Scooter besonnener zugeht. Mit dem E-Roller lässig durch die Gegend zu cruisen, will Michi aber unbedingt beibehalten. Der Gedanke verharrt einen Moment im Raum, dann kommt die Frage von der Rückbank:

 „Warum fährst du nicht mit der Bahn nach Stuttgart und zur Uni mit dem E-Scooter?“

Tatsächlich lässt Michi am Montagmorgen zum ersten Mal seit er studiert, das Auto stehen. Auch am Dienstag und Mittwoch. Interessanterweise nervt ihn die halbe Stunde in der Bahn – ganz anders als erwartet – überhaupt nicht. Vielmehr ist er total entspannt. Er trinkt Kaffee und liest Zeitung. Seine Welt scheint in Ordnung, zumindest so lange bis er auf der Fahrt zurück zum Bahnhof Maria in einem Café entdeckt. Er fasst all seinen Mut zusammen und fährt zu ihr rüber. „Hey Michi“, Maria schenkt ihm ein strahlendes Lächeln und lädt ihn ein, sich zu ihr zu setzen. 

Michis Herz hüpft

Aufgedreht und leicht durcheinander erzählt er von Berlin und seinem sehr positiven Tausch seines geliebten Autos gegen die Bahn. Er erzählt, dass der E-Tretroller ausschlaggebend gewesen wäre für seinen Umstieg. Aber dass er schon nach drei Tagen von den Vorzügen des entspannten Starts in den Tag durch die Bahn überzeugt wäre. Ob er die kurze Strecke zur Uni zu Fuß, mit einem alten Fahrrad oder mit dem E-Scooter zurücklege, sei eigentlich total egal. 

Maria wirft ein, dass die Ökobilanz der E-Scooter, vor allem der Leih-Scooter bislang nicht so gut abschneide. Das läge zum einen an der Fertigung in China, wo Strom vorrangig in Kohlekraftwerken erzeugt werde. Zum anderen an dem allabendlichen Einsammeln aller E-Scooter, um sie aufzuladen. Da sei noch viel gute Luft nach oben. Ein Verleih-Anbieter aus dem USA hat zudem eine vernichtende Statistik zur Lebensdauer seiner Scooter* veröffentlicht: Nach traurigen 29 Tagen hätten sie ausgerollt.  

„Bei dem rücksichtslosen Umgang wie in Berlin, kein Wunder“, ergänzt Michi. „Das Problem sind die Leih-Scooter. Mit einem eigenen E-Roller würde pfleglicher umgegangen werden. Und er würde sinnvoll genutzt werden. Etwa für die Strecke von Zuhause zum Bahnhof. Dann zusammenklappen und mit in den Zug nehmen. Aufklappen und ab zur Uni oder zur Arbeitsstelle.“

Scooter-Versenken 

Maria fragt Michi ganz nebenbei, ob er Lust auf einen weiteren Kaffee hätte. Klar hat er! Dann ergänzt sie zum Thema: „In der Stuttgarter Zeitung stand ein Artikel zu E-Scootern in Marseille**. Dort fischen Privat-Taucher reihenweise Roller aus dem Mittelmeer. Angeblich sei Scooter-Versenken ein Sport unter den Kids der Stadt. Das ist nicht zuletzt aufgrund der giftigen Lithium-Akkus umwelttechnisch eine ganz schlechte Idee.“

Maria war noch nie in Berlin 

Sie brennt aber darauf die Stadt kennenzulernen. Michi beißt sich auf die Zunge. Fast hätte er gesagt, dass er am Wochenende Zeit und Lust hätte.
Die Stunden vergehen wie im Flug. Irgendwann erzählt sie von ihrer Heimat. Einem kleinen Dorf bei der Dalí-Stadt Figueras, nördlich von Barcelona. Auch wie schwierig es ist, dort zu erklären, dass sie kein Fleisch mehr esse. Sie erzählt von ihrem Meer, von den Strandbars… Doch da ist es um Michi schon lange geschehen.

Als Michi am nächsten Morgen aufwacht, kitzelt die Sonne sein Näschen und der süßeste aller vorstellbaren Atem seine Wange. Vor Glück seufzend schickt er einen Freudengruß gen Scooter-Himmerl.  


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