Grüner Individual-Lifestyle – Wirksam?

Grüner Individual-Lifestyle – Wirksam?

BP und die Erfindung des CO2-Fußabdrucks

Wochenstart. Dein Kühlschrank ist leer. Du hast Lust auf Karotten. Ganz klar, auf zur Gemüseabteilung im Supermarkt!  
Klimaschutz ist Dir wichtig und so hältst Du Ausschau nach Biokarotten. Du entdeckst sie und schon steckst Du im Dilemma. Die Biokarotten sind in einem Plastikbeutel verpackt. Die konventionellen Karotten liegen im Bund daneben. 

Noch grübelnd ereilt Dich die Nachricht, dass Deine Lieblingsautorin ein neues Buch herausgebracht hat. Ganz klar, dass musst Du haben. Stellt sich die Frage: Was ist nachhaltiger: E-Book oder gedruckt auf Papier? 

Während der Recherche fröstelt es Dich und Du stellst fest, dass Du dringend einen lockeren Pullover zum Überziehen an kühlen Tagen benötigst. Auch hier fragst Du Dich: Welche Textilien sind aus Nachhaltigkeitsaspekten empfehlenswert? Second Hand erscheint Dir direkt einleuchtend. In Bezug auf Naturfasern wie tierische Wolle gegenüber einem veganen Pullover mit Synthetikanteil, wird die Sache schnell schon wieder schwieriger… 

Kommen Dir solche Situationen bekannt vor?
Fallen Dir vielleicht sogar spontan weitere Beispiele ein?

„Willkommen im Reich der klimafreundlichen Alltagsdilemmata!“
UND: Gratulation an British Petroleum (BP) zur gelungenen PR-Aktion! 

Was? BP? Keine Sorge, die Aufklärung folgt sogleich. 

Die Geschichte des CO2-Fußabdrucks reicht zurück ins Jahr 2004. Zu dieser Zeit wurde er vom Ölgiganten BP auf den Weg gebracht. Das Absurde daran ist, dass sie bekanntlich selbst, in ihrer Arbeit mit den fossilen Energieträgern, ein sehr großer Emittent von Treibhausgasen sind. Ihr eigenes Agieren hat folglich in großem Umfang negative Folgen aufs globale Klima. Indem sie den CO2-Fußabdruck an uns Konsument*innen spielen, animieren sie uns dazu, unseren Fokus auf den eigenen CO2-Ausstoß zu richten. Im Rausch von Selbstoptimierung kommt es schnell zu Vergleichen und durchaus zur gefährlichen Competition. Nur allzu leicht finden wir uns auch in emotionalen Diskussionen und Wortgefechten wieder, die mitunter Familien oder ganze Gesellschaften spalten können (siehe weiterführenden Artikel). 

Und BP? Sie können den CO2-Fußabdruck (erstmal) als gelungenes Ablenkungsinstrument vom eigenen weiteren Agieren verzeichnen. Gleichzeitig verschieben sie die Veränderungsverantwortung gewissermaßen in die Hände von uns Konsument*innen. 

Warum Treibhausgasemissionen nicht gleich Treibhausgasemissionen sind

Unabhängig davon, ob dies gerecht ist oder nicht, stellt sich die Frage, wie hoch diese pro Kopf Treibhausgasemissionen in Deutschland denn eigentlich sind?

Werfen wir also zunächst mal einen kurzen Blick in die Welt der Statistiken. Bei der Recherche kann es leicht zu Irritationen kommen. So findet man beispielsweise einmal ein Diagramm, das für 2019 im Durchschnitt den Wert von 9,02 t CO2e/Person/Jahr angibt. Ein anderes hingegen kommt nach dem Zusammenrechnen aller Emissionsbereiche für 2021 auf durchschnittlich 11,17 t CO2e/Person/Jahr und das, obwohl wiederrum eine dritte Übersicht eine insgesamte Reduktionstendenz aufzeigt. 

Wie passt das alles zusammen?

Die Erklärung versteckt sich, wie so oft im Detail. Zur Berechnung der Emissionen werden oftmals unterschiedliche Ansätze herangezogen. So gibt es zum einen die produktbasierte Berechnung. Hier wird alleinig der Emissionsausstoß im Kontext der Produktion von Gütern und Dienstleistungen innerhalb eines Landes betrachtet. Zum anderen besteht der sogenannte konsumbasierte Ansatz. Dabei bezieht man alle Emissionen mit ein, die durch den menschlichen Konsum in einem Land, unabhängig vom Produktionsort, ausgestoßen werden. 

So viel zum „kurzen Blick“. Das eine Reduktion notwendig ist, um den Klimawandel einzudämmen, ist vielen Menschen bewusst, aber die Thematik doch ganz schön komplex. Kein Wunder, wenn einem da mal der Kopf raucht. 

Und jetzt? Vielleicht einen der „klugen“ Einsparungstipps anwenden und direkt einfach mal die Heizung runterdrehen? 

Netter Versuch! Aber machen wir uns da nicht etwas vor?
Wir vernehmen globale Temperaturanstiege und dann soll ein wenig zurückdrehen am Heizungsregler etwas bewirken?

Die Frage nach der (Un-)Wirksamkeit von grünem Individual-Lifestyle  

Im Kontext der Einsparungspotenziale auf individueller Ebene, können wir einen Blick auf zwei Studien werfen. 

Studie 1: Im Jahr 2007 gab es in den USA eine Untersuchung des CO2-Ausstoßes verschiedener sozialer Gruppen. Dabei sind sie zu dem Schluss gekommen, dass dortzulande selbst eine obdachlose Person bereits den klimaverträglichen Ausstoßwert überschreitet. Letzteres allein durch den potenziellen Zugriff auf gesellschaftliche Infrastrukturen wie zum Beispiel Straßen oder Polizei.  

Ein klimaverträgliches Leben in einem, auf fossilen Rohstoffen basierenden Gesellschaftssystem ist somit schlichtweg nicht möglich.

Studie 2: In Frankreich gab es 2019 eine genauere Analyse in Sachen Einsparungspotenziale. Laut deren Ergebnissen beträgt das Potenzial auf persönlicher Lifestyle-Ebene durch beispielsweise eine Umstellung auf vegane Ernährung, Fortbewegung per Zug und Verwendung von LED-Birnen im ambitioniertesten Fall 25 %. Das durch energetische Sanierungen und bessere Heizungen nochmals maximal 20 %. Den größten potenziellen Reduktionsbetrag von bis zu 60 % verorten die Forscher*innen dieser Studie durch eine konsequente Klimapolitik mit Veränderungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Damit befinden wir uns auf systemischer Ebene und konkret werden vor allem die Sektoren Transport, Industrie, Landwirtschaft und Energie aufgeführt. 

Warum klimafreundliche Optionen alleine nicht ausreichen 

Es besteht demnach ein dringender Bedarf der Gesellschaftsänderung. Klimafreundliche Optionen müssen her. So weit, so gut. Nun geht es jedoch nicht „nur“ darum, klimafreundliche Optionen zu schaffen. Die Relevanz der möglichst angenehmen, unkomplizierten Nutzung sollte nicht unterschätzt werden. Nehmen wir beispielsweise das Thema Mobilität. Es bestehen bereits einige nachhaltige Alternativen wie Züge und Carsharing zum eigenen PKW. Wenn dann jedoch die Zuverlässigkeit, der Netzausbau, die Barrierefreiheit und vor allem auch der Preis zu wünschen übriglassen, dann fällt der Umstieg nicht gerade leicht.

Untersuchungen in diesem Kontext ergeben, dass direkte Nachhaltigkeitshandlungen unter heutigen Bedingungen bei etwa 20 % an Ambitionierten zu finden sind. 60 % setzen eher Einzelaspekte um und weitere 20 % zeigen eine resistente Ablehnungshaltung.  

Diese Tatsache, dass unsere Gesellschaft nicht aus lauter ambitioniert handelnden Menschen besteht, haben die französischen Wissenschaftler*innen in ihre Studie aufgegriffen. Diesbezüglich relativieren sie die Einsparungspotenziale auf individueller Ebene. In der Realität erachten sie somit eine nur etwa 20-prozentige Einsparung als realistisch. 

Vergleichen wir diesen Wert nun nochmal mit der oben beschriebenen, potenziellen Einsparung von 60% auf systemischer Ebene, dann kommen wir letztendlich zum Schluss, dass der Hebel hier als bis zu dreimal höher angenommen wird.  

Ein gesamtgesellschaftlicher Wandel ist jedoch auch noch aus einem weiteren Grund sehr bedeutend. Er kann dazu beitragen, dass nachhaltige Lebensweisen nicht das alleinige Privileg wohlhabender Gesellschaftsschichten sind. 

Folglich ist ein Setzen auf rein individuelles Handeln bei der Eindämmung der Klimakrise wohl wenig erfolgsversprechend und erstrebenswert. 

Letzteres ist einerseits durchaus eine ernüchternde Erkenntnis, dennoch sollten wir andererseits nicht vergessen, dass eine „positive“ – in diesem Kontext nachhaltige Lebensweise „positiv“ bleibt, auch wenn sie nicht direkt die Welt verändert!  

Auch hierzu ein Veranschaulichungsbeispiel: Nehmen wir an, ich bemühe mich, möglichst unverpackt einzukaufen und sammle gelegentlich Müll, dann setze ich mich damit gegen die Umweltverschmutzung ein. Nun wird es mir damit leider nicht gelingen, direkt die weltweite Verschmutzungsproblematik in Luft aufzulösen, aber dennoch leiste ich einen positiven Beitrag zur Gesundheit, sowie dem Wohlbefinden vom Ökosystem und den Lebewesen vor Ort.

Die Rolle von Wechselwirkungen und sozialer Interaktion 

Zum Erreichen von Wirksamkeit empfiehlt sich also vielmehr die Tendenz, den Blick weg vom rein eigenen Individualausstoß, hin zur Beeinflussung von Strukturen (z.B. Einsatz für Radwegeausbau, Wahlbeteiligung für Klimaschutzparteien, nachhaltige Geldanlage) zu richten. Wir benötigen Wechselwirkungen zwischen systemischem und individuellem Wandel über beispielsweise eine CO2-Steuer, Subventionen, Förderungen und Infrastruktur. Dadurch sollten letztendlich klimafreundliche Verhaltensweisen vereinfachter, preiswerter und schlichtweg „normal“ werden. 
 
Gleichzeitig sind wir Menschen bekanntlich „soziale Wesen“, sprich wir weisen ein Zugehörigkeitsbedürfnis auf, schauen Verhaltensweisen untereinander ab und richten uns meist nach sozialen Normen. Außerdem schöpfen wir Motivation und Handlungsfähigkeit, wenn wir uns auf eine gemeinsam handelnde Gemeinschaft beziehen können. Folglich kann es als bedeutend erachtet werden, über Nachhaltigkeitsthemen ins Gespräch zu kommen und gemeinsam aktiv zu werden. Zum Beispiel die weltweite Bewegung Fridays for Future zeigt uns eindrücklich, was gemeinsam möglich ist. 

Takeaway zum Abschluss

In diesem Sinne, informiert Euch, hinterfragt Dinge und reflektiert Euch selbst, aber macht Euch und andere bitte nicht verrückt. Sprich, lasst die Karotte auch mal Karotte, das Buch mal Buch oder den Pullover mal Pullover sein. Nervenaufreibendes, verbissenes Perfektionsstreben in jeglichen „Kleinigkeiten“ kosten ansonsten vielfach eher Motivation, als dass sie letztendlich im großen Ganzen zielführend sind. Leicht verfängt man sich eher in komplizierten Abwägungsspiralen und kommt am Ende womöglich gar nicht mehr ins Handeln.  

Lasst uns vielmehr in den Austausch kommen und gemeinsam aktiv werden für den nachhaltigen Umbau unseres Gesellschaftssystems. Die Ansatzmöglichkeiten sind vielfältig. Sei es die Unterstützung von Klimapetitionen, die Teilnahme an Nachhaltigkeitsdemonstrationen, die Beteiligung an Solidarischen Landwirtschaften, und, und, und. Setzten wir uns gemeinsam dafür ein, dass die Erde noch möglichst lange Zeit ein so vielfältiger Raum und Lebensgrundlage bleibt! 
 


Quellen

Austen, F. (2021). Diese Zahlen zeigen: Systemwandel bringt dem Klima mehr als grüner Lifestyle. Verfügbar unter: https://perspective-daily.de/article/1897-diese-zahlen-zeigen-systemwandel-bringt-dem-klima-mehr-als-gruener-lifestyle/probiere 

Carbone 4 (2019). Doing your fair share fort he climate? The power and responsibility of individuals, business and the state in the fight against climate change. Verfügbar unter: https://www.carbone4.com/en/publication-doing-your-fair-share 

Chandler, D. (2008). Leaving our mark. Verfügbar unter: https://news.mit.edu/2008/footprint-tt0416 

Hauwehde, J. (2021). Wie Unternehmen in Zeiten der Klimakrise an der Macht bleiben wollen. In J. Hauwehde & M. Zwerenz (Hrsg.), GREAT GREEN THINKING – Vielfältige Perspektiven auf ein nachhaltiges Leben (S. 135-142). München: &Töchter UG. 

Nicette, P. (2022). Outsourcing von Emissionen: Warum Deutschland am CO2-Ausstoß von China beteiligt ist. Verfügbar unter: https://fashionchangers.de/outsourcing-von-emissionen-warum-die-treibhausgasemissionen-deutschlands-ueber-zwei-prozent-liegen/ 

Rauschenberger, P. (2021). Allein gegen den Klimawandel? Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/klimapsychologie-allein-gegen-den-klimawandel-102.html

Wissen macht Klima (2022). Systemwandel statt Green Lifestyle? Nach diesem Artikel weißt du, was zu tun ist! Verfügbar unter: https://www.wissenmachtklima.de/systemwandel-statt-green-lifestyle/#_ftn5 

 


Text: Simone Stechele
Bild: Alexa, Pixabay

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